Was heißt denn hier allein?
Have a Question?
Eltern und Kinder werden nach Trennungen statistisch nicht richtig erfasst, zeigt der neue Familienbericht – das hat weitreichende Folgen.
Bisher haftet diesen Familien automatisch das Label alleinerziehend an – mit allen dazugehörigen Klischees: Mutter, potenziell arm, überfordert, bemitleidenswert. Doch diese Kategorisierung wird der Realität nicht gerecht und hat zudem eine Reihe negativer Folgen, mahnt nun eine Sachverständigenkommission aus Soziologinnen, Wirtschaftswissenschaftlern und Juristinnen.
Im Auftrag der Bundesfamilienministerin haben sich die Experten mit der Frage befasst, vor welchen Herausforderungen allein- und getrennt erziehende Eltern und ihre Kinder stehen – und wie man ihnen besser gerecht werden kann. Ihre Erkenntnisse und Empfehlungen wurden nun im zehnten Familienbericht veröffentlicht. Eine Kurzfassung lag der ZEIT vorab vor.
Die Wirklichkeit ist der amtlichen Statistik weit voraus – das ist der zentrale Befund der Wissenschaftler. Das Familienleben bleibt bunt, auch nach einer Trennung, es lässt sich nicht in schwarz-weißen Kategorien abbilden: Zwischen allein und zusammen sein gibt es viele Varianten – gerade, wenn man gemeinsame Kinder hat.
Viele Väter sind heute stark in den Alltag ihrer Kinder involviert und möchten es auch bleiben, wenn sie nicht mehr mit der Mutter zusammenleben. Doch die Statistik kennt nur eheliche, nichteheliche und alleinerziehende Familien. Für geteilte Betreuungsmodelle ist sie blind. Darum befinden sich unter den vermeintlichen Alleinerziehenden zum Beispiel auch ehemalige Paare, die sich abwechselnd um ihre Kinder kümmern.
Doch ist diese Datenlage tatsächlich so wichtig, ist es nicht entscheidender, wie es den Kindern und Eltern geht? „Das hängt miteinander zusammen“, sagt die Vorsitzende der Familienberichtskommission Michaela Kreyenfeld, „weil die statistischen Verzerrungen negative Folgen haben“. Man könne zum Beispiel jene Personen, die ihre Kinder wirklich allein oder weitgehend allein betreuen, in den Daten gar nicht identifizieren. Sie sind aber öfter von Armut betroffen als getrennt erziehende Eltern. „Dadurch unterschätzen wir die Risiken der echten Alleinerziehenden“, sagt die Soziologin.
20 %der Familien mit Kindern unter 18 Jahren sind der Statistik nach alleinerziehend
Die Zahlen sind auch in anderer Hinsicht unzuverlässig: Kinder werden teilweise doppelt gezählt, wenn Eltern, die ihr Kind abwechselnd betreuen, beide angeben, mit ihm in einem Haushalt zu leben. Und dass der Anteil der alleinerziehenden Väter zuletzt deutlich stieg, liegt wahrscheinlich ebenfalls an der Zunahme dieses Wechselmodells.
Ein weiterer Missstand, auf den die Kommission hinweist: Mütter und Väter, die nicht mehr mit ihren Kindern zusammenwohnen, verlieren in den amtlichen Daten ihren Elternstatus. Dass sie Kinder haben, spielt auf einmal keine Rolle mehr. Auch in der Forschung werde diese Gruppe von „Nicht-Residenz-Eltern“ kaum beachtet.
„Wer statistisch nicht erfasst wird, dessen Probleme drohen unterzugehen“, sagt Kreyenfeld. Um sinnvolle politische Maßnahmen für eine bestimmte Gruppe einzuleiten, müsse man sie überhaupt erst einmal sichtbar machen.
Der aktuelle Familienbericht erinnert damit ein wenig an den Ursprung dieser wissenschaftlichen Gutachten. Eingeführt wurden sie Ende der Sechzigerjahre, damit sich die Politik bei ihren Entscheidungen an tatsächlichen gesellschaftlichen Veränderungen orientiert – und sich nicht von Ideologie leiten lässt. Inzwischen erscheinen die Familienberichte in jeder zweiten Legislaturperiode.
Im Gegensatz zu anderen Gutachten, die oft in der Schublade verschwinden, tragen die Familienberichte durchaus dazu bei, was familienpolitisch auf die Agenda kommt. Die Empfehlungen der wechselnden ehrenamtlichen Kommissionen sind zwar nicht bindend, doch sie werden in Bundestag und Bundesrat diskutiert und wirken üblicherweise über die Legislaturperiode hinaus. In der Vergangenheit wurden viele Vorschläge in den Folgejahren tatsächlich umgesetzt. Der Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende, der Kündigungsschutz nach der Geburt oder das Elterngeld etwa waren konkrete Forderungen, die im Anschluss realisiert wurden.
Im aktuellen Bericht sehen die Wissenschaftlerinnen auf drei Feldern die Notwendigkeit, dass sich etwas ändert für getrennte Familien:
Erstens sollte die wirtschaftliche Eigenständigkeit insbesondere von Frauen gestärkt werden – und zwar nicht erst nach einer Trennung, sondern über den gesamten Lebenslauf hinweg. Im Moment zielt der Ausbau der Kinderbetreuung darauf ab, dass Mütter früh wieder arbeiten, das Ehegattensplitting und die kostenlose Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung dagegen treiben Paare in klassische Versorger- und Zuverdienerrollen. „Diese widersprüchlichen Anreize sollten beseitigt werden“, heißt es im Bericht. Zudem sollte das Elterngeld so gestaltet sein, dass Mütter und Väter sich die Sorgearbeit gerechter teilen. Auch der Arbeitsmarkt müsse sich flexibler auf die Bedürfnisse von Eltern einstellen und zum Beispiel eine Ausbildung in Teilzeit ermöglichen.
3 -mal höher
ist das Armutsrisiko allein lebender Frauen (und Männer) mit Kind
gegenüber dem von Paaren
Zweitens raten die Experten, die gemeinsame Elternverantwortung zu fördern. Bisher orientiert sich das Recht noch stark an der Idee, dass es nach der Trennung einen hauptverantwortlichen Elternteil gibt, bei dem die Kinder wohnen (Residenzmodell). Nur etwa zehn Prozent der getrennten Eltern betreuen ihre Kinder hierzulande im Wechselmodell. Verglichen mit anderen europäischen Ländern ist es damit noch wenig verbreitet. In Schweden ist es der Normalfall, dass Mütter und Väter sich die Betreuung teilen. Doch nicht nur die Skandinavier, auch Länder wie Frankreich und Tschechien sind hier weiter als Deutschland. Damit sich das ändert, müsste das Recht alle Betreuungsmodelle abbilden. Wie viel Unterhalt zahlt der Vater für ein Kind, wenn es zehn Nächte im Monat bei ihm schläft? Dazu braucht es faire, nachvollziehbare Regelungen.
Drittens spricht sich die Sachverständigenkommission dafür aus, die besondere Verletzbarkeit von Kindern und Eltern nach einer Trennung zu berücksichtigen. Man müsse mögliche gesundheitliche Folgen im Blick behalten und die drohende Armut bekämpfen. Dazu sollte das Existenzminimum von Kindern neu berechnet und Alleinerziehende sollten steuerlich entlastet werden. Auch die Mehrkosten nach einer Trennung gelte es zu berücksichtigen.
Viele dieser Empfehlungen sind bekannt, werden öffentlich diskutiert oder sollten sogar längst politisch angegangen werden. So war es ein Ziel der Kindergrundsicherung, eines der zentralen Vorhaben der Ampelkoalition, die finanzielle Situation von Alleinerziehenden zu verbessern. Die umfassende Familienrechtsreform, für die der frühere Justizminister Marco Buschmann (FDP) kurz vor dem Bruch der Ampel einen Gesetzesentwurf vorlegte, hätte unter anderem den Unterhalt, den Umgang und das Sorgerecht nach einer Trennung flexibler und zeitgemäßer gestalten sollen. „Wir mussten mit zwei großen Unbekannten arbeiten“, sagt Michaela Kreyenfeld. Denn beide Projekte hätten maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche und rechtliche Situation getrennter Familien gehabt.
Quelle: Trennung von Eltern: Was heißt denn hier allein? | ZEIT ONLINE